Adipositas bei Kindern und Jugendlichen

Frühe Interventionen

Bei Kindern und Jugendlichen wird ebenfalls der BMI als Beurteilungskriterium für das Ausmaß des Übergewichts herangezogen. Dieser wird aber durch alters- und geschlechtsspezifische Besonderheiten beeinflusst. Aus diesem Grund werden die individuellen BMI – Werte in die BMIsds Werte umgerechnet und anhand der alters- und geschlechtsspezifischen Perzentile eingeschätzt (Arbeitsgemeinschaft für Kinder und Jugendliche, 2004).

In dieser Einteilung der Gewichtsklassen von Kindern / Jugendlichen bis 18 folgen wir der international üblichen Einteilungen, wie sie in den Leitlinien der deutschen Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter vorgegeben werden (vgl. Tab. 2). Eine Abweichung besteht darin, dass wir durch Interpolation im Untergewichtsbereich die Gruppe der untersten 3% weiter unterteilten und zwischen den untersten 0.5% und den untersten 2.5% unterscheiden.

Diese quasi ‚symmetrische’ Aufteilung ermöglicht es unseres Erachtens besser, die als morbid adipös bezeichneten Kinder / Jugendlichen mit den von uns als ‚morbid’ untergewichtig benannten zu vergleichen. Entsprechend heißen die untersten drei Perzentilbereiche: „morbid untergewichtig“, „untergewichtig“ und „schlank“ Hinzu kommt die – häufig zu findende – Unterteilung in niedriges, mittleres und hohes Normalgewicht. Diese halten wir für unverzichtbar, da sich bei vielen in unserem Testsystem gemessenen Variablen zeigte, dass die Grenzen zwischen mittlerem und oberem Normalgewicht häufig signifikante Unterschiede auf den Skalen anzeigt.

In der Selbstbeschreibung der Kinder markiert sie nicht den Unterschied zwischen zwei Normalgewichtsklassen sondern jenen zwischen ‚normal’ und bereits ‚zu dick’, zu ‚fett’ und ähnliches. Darauf folgen die drei Perzentilgruppen Übergewicht, Adipositas und morbide Adipositas.

Unsere Benennungen weichen somit wie man in den Tabellen 2 und 3 sieht, geringfügig von jenen der AGA (2004) ab.

Tabelle 1: Perzentile für den Body Mass Index (in kg/m2)
Jungen im Alter von 0 bis 18 Jahren.

Tabelle 2: Perzentile für den Body Mass Index (in kg/m2)
Mädchen im Alter von 0 bis 18 Jahren.

Begleiterkrankungen

Adipositas ist nur in seltenen Fällen Symptom einer Grunderkrankung.
Der somatische Krankheitswert der Adipositas im Kindes- und Jugendalter ergibt sich zum einen aus der funktionellen Einschränkung und zum anderen aus den somatischen Folgeerkrankungen, die sich bereits im Kindesalter manifestieren können.

Körperliche Folgen sind z.B. 

  • Störungen des Stütz- und Halteapparats
  • Arterielle Hypertonie
  • Fettstoffwechselstörungen
  • Typ-2-Diabetes mellitus
  • Hyperandrogenämie bei Mädchen
  • Hyperurikämie
  • Cholezystolithiasis
  • metabolisches Syndrom
  • Nicht-alkoholische Fettlebererkrankung

 Diese sind durch eine Gewichtsreduktion teilweise reversibel.

 

Häufige klinische Begleitbefunde bei Adipositas im Kindes- und Jugendalter, die in der Regel keiner weiteren Diagnostik bedürfen, sind:

  • Beschleunigung des Längenwachstums und der Skelettreife
  • Striae distensae (Mädchen und Jungen)
  • Pseudogynäkomastie (Jungen)
  • Pseudohypogenitalismus (Jungen).

 

Bei Kindern / Jugendlichen treten Krankheiten als Folge der Adipositas seltener auf als bei Erwachsenen.
Risikofaktoren sind aber vor allem bei morbider Adipositas stets zu erheben (vgl. ausführliche Darstellung der medizinischen Untersuchung in den einzelnen Gewichtsklassen nach den Leitlinien der AGA, 2004).
Als solche gelten Insulinresistenz oder Hypercholesterinämie sowie familiäre Belastung (Diabetes mellitus Typ 2 bei den Eltern, Herzinfarkt oder Schlaganfall vor dem vollendeten 55. Lebensjahr bei Verwandten 1. und 2. Grades).

Vorkommnishäufigkeiten

Die Verteilung bei österreichischen Kindern und Jugendlichen gestaltet sich wie folgt:

  • 10-29% der Burschen und 6-42% der Mädchen sind übergewichtig.
  • Bei 5-11% der Burschen und 3-4% der Mädchen konnte Adipositas diagnostiziert werden. Eine höhere Prävalenz konnte hier für die Burschen gefunden werden.
  • Besonders bei Wiener Lehrlingen – dies betrifft hier allerdings weibliche – konnten hohe Prävalenzen von Übergewicht und Adipositas festgestellt werden (Kiefer et al., 2006).

 

Hinsichtlich des Bewegungsverhaltens kann nicht eindeutig belegt werden, das adipöse Kinder weniger aktiv sind, insbesondere wenn der Kalorienverbrauch als Kenngröße des Bewegungsausmaßes herangezogen wird.
Hinsichtlich der Inaktivität konnte vielfach nachgewiesen werden, dass z. B. häufiges – lang andauerndes Fernsehen mit der Adipositas assoziiert ist (Gortmarker et al., 1996).

Bezieht man den körperlichen Aktivitätslevel (PAL) auf die Körperfettmasse so werden Zusammenhänge deutlich, wobei mit ansteigendem PAL der Prozentsatz des Körperfetts von Kindern sinkt (Eklund et al., 2002).
Klein-Platat et al. (2005) zeigten, dass insbesondere bei übergewichtigen Mädchen und Jungen der – für die Vorhersage von Erkrankungen wichtige Parameter – „Bauchumfang“ mit steigender körperlicher Aktivität sinkt.

Die Erfassung der körperlichen Fitness ist besonders bedeutsam, da sie mit dem Gesundheitszustand des Kindes/Jugendlichen im Allgemeinen assoziiert ist. So konnten z. B. Torok et al. (2001, in Strong et al., 2005) bei adipösen Jungen nachweisen, das jene mit hoher Fitness nicht zusätzlich vom metabolischen Syndrom betroffen sind im Vergleich zu den wenig fitten adipösen Jungen. Zudem wurde angesichts der auch bei Kindern / Jugendlichen eingeschränkten Abnahmeerfolge auf das Ziel „Health at any weight“ (Miller & Jacobs, 2002) fokussiert, das Fitness und gesunde Mischkost in den Vordergrund aller Abnahmebemühungen stellt. (Adipositas Therapie).

Auch in der Ernährung kann man – entgegen verbreiteten Annahmen – nicht davon ausgehen, dass sich adipöse Kinder / Jugendliche grundsätzlich in der Art der Lebensmittelauswahl von Normalgewichtigen unterscheiden, alle Gruppen nehmen zu wenig Obst, Gemüse und Salat zu sich (Ardelt-Gattinger & Meindl, im Druck). Sie nehmen aber wesentlich größere Mengen zu sich, die sie – wie Erwachsene auch – Selbstwert stützend in hohem Ausmaß unterschätzen.

Stigmatisierungen setzen sehr früh ein, viele Kinder berichten schon in der Kindergartenzeit von Hänseleien und Ausgrenzungen, die von den Bezugspersonen teilweise nicht ernst genommen teilweise nicht unterbunden werden können. Die Lebensqualität adipöser Kinder ist nicht in allen Bereichen schlechter als jene ihrer normalgewichtigen Peers, vor allem im Bereich „Freunde“, „Körper“ und „Aussehen“ liegen sie aber meist weit unterhalb der Norm. Studien berichten, dass sie teilweise schlechter ist als bei krebskranken Kindern (Ravens-Sieberer & Thomas, 2003).

Wie auch für Erwachsene gilt – wie oben ausgeführt – angesichts der Chronizität der Krankheit für Kinder das Health@any Size – Paradigma

Literatur

AGA (Arbeitsgemeinschaft für Adipositas im Kindes- und Jugendalter).
Leitlinien www.adipositas-gesellschaft.de/daten/Leitlinie-AGA-2004-09-10;  geöffnet am 10.08.2007.

Gortmarker S, Must A, Sobol A, Peterson K, Colditz G & Dietz W (1996): Television viewing as a cause of increasing obesity among children in the United States, 1986–1990. Arch. Pediatr. Med. 150, 356–362.

Jackson, Susan Amanda and Eklund, Robert C. (2002) Assessing flow in physical activity: The Flow State Scale-2 and Dispositional Flow Scale-2. Journal of Sport and Exercise Psychology, 24 : 133-150.

Kiefer, I., Rieder, A., Rathmanner, Th., Meidlinger, B., Baritsch, C., Lawrence, K., Dorner Th., Kunze, M. (2006). Erster Österreichischer Adipositasbericht 2006. Grundlage für zukünftige Handlungsfelder: Kinder, Jugendliche, Erwachsene.

Klein-Platat C, Oujaa M, Wagner A, et al. Physical activity is inversely related to waist circumference in 12-y-old French adolescents. Int J Obes. 2005;29:9–14.

Miller, W. & Jacob, A. (2001). The Health at any Size Paradigm for Obesity Treatment: the scientific evidence. The international Association for the Study of Obesity.obesity reviews, 2, 37-45.

Ravens-Sieberer, U., & Thomas, C. (2003).  Ergebnisse der HBSC-Jugendgesundheitsstudie 2002 im Auftrag der WHO. Eine RKI-Schrift.

Strong, et al., Evidence Based Physical Activity for School-Age Youth,    146 J. PEDIATR. 732-737 (2005).