Ätiologie der Adipositas

Wie entsteht sie und wie wird sie aufrechterhalten?

Entstehung von Adipositas

Die Ätiologie (Entstehung) der Adipositas ist multifaktoriell.

Empirisch fundierte interdisziplinäre Ätiologiemodelle betrachten vor allem folgende Prädiktoren: (zur ausführlicher Beschreibung siehe pdf. Dokument).

 

  • Der Einfluss der Genetik ist unumstritten, stellt aber kein Schicksal dar, so ferne – möglichst früh – Präventions- und Therapiemaßnahmen eingeleitet werden.
  • Die bewegungsarme Überflussgesellschaft erschwert vor allem die Prävention und stellt eine neue Herausforderung zum Umdenken dar. Im Bereich Bewegung geht es um geschützte Räume für Kinder-/ Jugendliche wie Erwachsene. Die Öffnung der Vereine vom Leistungs- zum Gesundheitssport, „Bewegte Pausen“ in den Schulen, Bewegungsunterricht, der auch übergewichtigen Kindern Spaß machen kann. Zu überlegen wären auch Leistungsgruppen, die in anderen Fächern schon selbstverständlich sind.
  • Es steht ebenfalls außer Frage, dass auch die Menge und Art der Ernährung zu den wichtigsten Prädiktorvariablen (Vorhersagegrößen) von Übergewicht, Adipositas und mit diesen assoziierten medizinischen Komorbiditäten (Begleitkrankheiten) (vgl. u.a. Korsten-Reck, 2005, Kiefer et al., 2006) zählen.

 

In Österreich haben allerdings nicht nur Adipöse eine Vorliebe für Deftiges und Snacks und essen tendenziell weniger „Gesundes“, die Vorliebe für Obst-Gemüse-Salat lässt bei allen Gewichtsgruppen und speziell bei den Kindern / Jugendlichen zu wünschen übrig (Ardelt-Gattinger & Meindl, im Druck).

Zahlreiche psychologische Variablen wie günstiges (salutogenes) und ungünstiges (pathogenes) Essverhaltens und die damit verbundenen Kognitionen (Gedanken und Gefühle), Wahrnehmung von Hunger und Sättigung aber auch die bisher wenig beachteten Abhängigkeitsanteile beim übermäßigen Essen (Ardelt-Gattinger et al., 2000b) sowie die bei Adipösen wesentlich häufiger auftretenden Essstörungen spielen eine Rolle (Wittchen, Saß, Zaudig & Koehler, 1996; Dilling, Mombour, & Schmidt, 2004). Sie wurden bisher wenig und meist getrennt von diesen behandelt.

Durch die häufige Abwertung adipöser Menschen kommen Wünsche, Ängste und Unzufriedenheiten über das eigene Körperbild sowie eine häufig schlechtere Lebensqualität als Folgen und rückwirkend wiederum als Ursachen in Frage.

Annahmen über frühkindliche Schädigungen – im Verständnis Psychodynamischer Theorien – die Entstehung und Aufrechterhaltung der Adipositas bewirken sollen, sind unter PsychotherapeutInnen weit verbreitet. Möglicherweise kam dies auch dadurch zustande, dass lange Zeit die Differentialdiagnostik zu der mit ca. 30% bei Morbid Adipösen auftretenden Binge Eating Disorder und der mit ca. 7% ebenfalls sehr häufigen Bulimie (Ardelt-Gattinger & Meindl, im Druck) vernachlässigt wurde.

Empirisch sind die genannten Zusammenhänge ebenso wie jene mit der „typischen Persönlichkeit“ widerlegt (Stunkard & Sobal, 1995).
Das bedeutet nicht, dass es nicht Einzelfälle gibt, in denen es Zusammenhänge zwischen bestimmten Geschehnissen in der Kindheit, Jugend oder auch im Erwachsenenalter gibt, dass Missbrauch- oder Misshandlung das – spannungslösende, beruhigende – Vielessen auslöst und mitbedingt.
Solche Einflussfaktoren sind aber unspezifisch allgemein krank machend und stellen keinen Faktor dar, der adipöse Menschen von anderen signifikant unterscheidet.
Psychische Störungen erschweren aber zumeist die schwierige Arbeit an der zur Gewichtsreduktion nötigen Lebensumstellung.

Literatur

American Psychiatric Association. (1996). Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen. DSM IV. (H. Saß, H.-U. Wittchen & M. Zandig, Übers.). Göttingen: Hogrefe Verlag.

Ardelt-Gattinger E. et al (2000b). Dependency of smokers, alcoholics and obese patients. Poster auf der Tagung „Obesity“ Essen März. International Journal of Obesity (Abstr. 25).

Ardelt-Gattinger, E. & Meindl, M. (im Druck). Ad – Eva Interdisziplinäres Testsystem zur Diagnostik und Evaluation bei Adipositas und anderen durch Ess- und Bewegungsverhalten beeinflussbaren Krankheiten wie Diabetes, metabolisches Syndrom, Herzkreislauferkrankungen, Erkrankungen oder Störungen des Bewegungsapparats etc. Huber: Bern.

Dilling, H. Mombour, W. & Schmidt, M.H. (2004). Internationale Klassifikation psychischer Störungen. ICD-10 Kapitel V (F). Bern: Huber Hans

Kiefer, I., Rieder, A., Rathmanner, Th., Meidlinger, B., Baritsch, C., Lawrence, K., Dorner Th., Kunze, M. (2006). Erster Österreichischer Adipositasbericht 2006. Grundlage für zukünftige Handlungsfelder: Kinder, Jugendliche, Erwachsene. Verein Altern mit Zukunft (Hrsg.), August 2006

Korsten-Reck, U., Kromeyer-Hauschild, K., Wolfarth, B., Dichhutz, H.-H. & Berg, A. (2005). Freiburg Intervention Trial for Obese Children (FITOC): results of a clinical observation study. International Journal of Obesity, 29, 356-361.

Stunkard, A. J. & Sobal, J. (1995). Psychosocial consequences of obesity. In K. Brownell & C. Fairburn (Eds.). Eating disorders and obesity. A comprehensive handbook (pp. 417-421). London: The Guilford Press.